23.02.17, 13:04

Kapitalmarkt-News – Erfüllt die EZB noch ihr Stabilitätsmandat?

22. Februar 2017

Die Konjunktur in der Euro-Zone erholt sich weiterhin, auch wenn der Anstieg der Inflationsrate vor allem auf die höheren Energiekosten zurückzuführen ist. Die stabile Kerninflationsrate, welche die volatilen Energie- und Nahrungsmittelpreise unberücksichtigt lässt, zeigt ebenfalls, dass Deflation in der Euro-Zone aktuell kein Thema ist. Eine unterstützende Geldpolitik mag weiterhin angebracht sein, vor allem angesichts einer Arbeitslosenquote in der Euro-Zone von 9,6 %. Das aktuelle Ausmaß der Geldpolitik (negative Zinsen in Verbindung mit dem Aufkaufprogramm) stammt noch aus Zeiten, als wirtschaftliche Risiken solche Maßnahmen erforderten. Der Einlagenzins war im Dezember 2015 und nochmals im März 2016 auf dann -0,4 % gesenkt worden. Dabei war die Konjunkturentwicklung in der Euro-Zone 2016 nicht viel schlechter als 2015, da sich die negativen Inflationsraten im Frühjahr des letzten Jahres als temporär erwiesen. Zu behaupten, der Inflationsanstieg und die konjunkturelle Belebung wären Resultat der geldpolitischen Lockerung Ende 2015, scheint angesichts der Zeitverzögerung und der Effektivität der Maßnahmen allerdings eher gewagt. Viele Marktbeobachter befürchten daher, dass die EZB ihre expansive Geldpolitik übertreibt, weniger wegen des ansteigenden Inflationsrisikos als aufgrund von Fehlallokationen, und dass insbesondere erneute Blasenbildungen entstehen bzw. vielleicht bereits vorhanden sind. Hat die EZB also den richtigen Zeitpunkt für eine geldpolitische Wende bereits überschritten, vor allem, wenn es darum geht, proaktive Stabilisierungspolitik zu betreiben?

 
Es besteht kaum Zweifel daran, dass die EZB-Geldpolitik einen entscheidenden Beitrag geleistet hat, die Schuldenquoten der Euro-Staaten zu stabilisieren (siehe IKB-Studie, Oktober 2016). Die Geldpolitik liefert bedeutende realwirtschaftliche Impulse und hilft auch, den Wechselkurs des Euro niedrig zu halten (siehe IKB-Studie, April 2015). Doch das Wirtschaftswachstum in der Euro-Zone bleibt auch im vierten Jahr der Erholung eher bescheiden. Zwar scheinen sich die Schuldenquoten gefestigt zu haben bzw. erste Tendenzen eines Rückgangs zu zeigen, doch für deren nachhaltige Stabilisierung bzw. Umkehr ist ein nachhaltig höheres nominales Wachstum erforderlich. Die aktuellen Daten sind ermutigend, und Prognosen bestätigen die positive Entwicklung. Doch in der aktuellen Einschätzung der EZB-Politik bleibt die entscheidende Frage unbeantwortet: Wie nachhaltig ist die konjunkturelle Erholung und damit auch der Anstieg der Inflationsrate in der Euro-Zone? Laut reiner Lehre muss die Geldpolitik aufgrund ihres indirekten Einflusses bzw. Transmissionsmechanismus aktiv handeln, um Übertreibungen zu verhindern. Aktuell gibt es zwar keine Anzeichen für eine Überhitzung, dennoch ist der Gedanke nicht pauschal von der Hand zu weisen, dass angesichts eines Wirtschaftswachstums und einer Teuerungsrate von über 1 % in Verbindung mit negativen Zinsen die geldpolitische Ausrichtung aktuell zu expansiv ist. Im Fokus der Kritik stehen vor allem die negativen Zinsen und die anhaltende extreme Bilanzausweitung der EZB. Doch das Niveau wichtiger Steuergrößen mag weniger entscheidend für die Geldpolitik sein als die Auswirkungen ihrer Veränderung. Die Frage ist, ob eine aktuelle Straffung der Geldpolitik die Konjunkturstabilisierung in der Euro-Zone unterstützen würde. Zwar mag eine geldpolitische Straffung auf Sicht Fehlallokationen beenden, was mittelfristig einen positiven Wachstumseffekt haben könnte; kurzfristige negative Auswirkungen auf die private sowie staatliche Nachfrage würden allerdings die Konjunkturstabilisierung gefährden. Ebenso könnte der Euro aufwerten und damit die Wettbewerbsfähigkeit der Euro-Zone untergraben. So gibt es derzeit keine überzeugenden Argumente für eine notwenige geldpolitische Straffung.
 
Auf Basis von Vermutungen, dennoch die Zinsen anzuheben, kann in einem Umfeld erhöhter Inflationsrisiken durchaus angezeigt sein, scheint aber im aktuellen Umfeld eher unangebracht. Auch benötigt solch ein Schritt belastbare Prognosen oder zumindest ein ausgeglichenes Prognoserisiko. Angesichts der politischen Unsicherheiten aufgrund der anstehenden Wahlen in wichtigen Euro-Ländern und des bevorstehenden Brexit kann davon insgesamt eher nicht ausgegangen werden. Dies gilt auch deshalb, weil eine geldpolitische Straffung der EZB-Geldpolitik einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss auf den Euro-Wechselkurs haben sollte, sofern alle anderen bedeutenden Notenbanken ihren Kurs fortsetzen. Angesichts der marginalen Fed-Zinsanhebung seit Dezember 2015 und der daraus folgenden US-$-Aufwertung ist dies eindrucksvoll nachzuvollziehen. So mag die EZB gut daran tun, auf Sicht zu agieren, vor allem aufgrund der sozialen Kosten im Falle eines erneuten konjunkturellen Abschwungs in der Euro-Zone. Ein kurzfristiges Überschreiten des langfristigen Inflationsziels scheint in diesem Zusammenhang das kleinere Übel zu sein, auch weil die Inflationsrate in den letzten Jahren unter dem Zielwert geblieben ist.
 

 
Eine Verschleppung des Normalisierungsprozesses birgt nicht nur die Gefahr von Überhitzung und Blasenbildung, sondern erhöht auch den Handlungsdruck auf die Notenbank. Auf der anderen Seite führen deutliche Zinsanhebungen zu Risiken bei Banken, Versicherungen und Immobilienpreisen. Doch die Sorge, dass sich in Folge höherer Zinsen deutliche Refinanzierungsrisiken ergeben, ist zu relativieren. Denn die Zinsen werden nur dann steigen, wenn Wachstum und Inflation zur Erhöhung des privaten Einkommens geführt haben. Solange die EZB dafür sorgt, dass die Zinserwartungen im Umfeld eines sich erholenden nominalen Wachstums zunehmen, sollte sich kein systematisches Risiko im deutschen Häusermarkt entwickeln. Hier liegt die eigentliche Herausforderung für die EZB: Sie muss aktuell die Erwartungen stärken, dass die Zinsen noch auf Sicht niedrig bleiben (damit das lange Ende der Zinskurve niedrig bleibt) und gleichzeitig früh genug die Märkte auf den mittelfristigen Anstieg vorbereiten.
 

 
Milton Friedman attestiert der Geldpolitik ein schlechtes Zeugnis, wenn es darum geht, erfolgreiche Stabilisierungspolitik zu betreiben. Er spricht sich für Geldmengenregeln aus, die weniger im Ermessen der Notenbanken liegen. Denn es ist schwierig, den Einfluss und das Timing des geldpolitischen Transmissionsmechanismus ausreichend gut zu greifen. Im aktuellen Umfeld, in dem die Geldpolitik eher unkonventionelle Wege geht, hat dies sicherlich Gültigkeit, doch spricht dies eher für eine Fortsetzung der aktuellen Politik als für eine Veränderung. Trotz der EZB-Bilanzausweitung bleibt das Geldmengenwachstum eher verhalten und zeigt keine Anzeichen einer zu lockeren und destabilisierenden Geldpolitik. Gleiches gilt für die Dynamik der Kreditvergabe. Auf Basis von Konjunkturlage, Inflationsrate und Geldmengenaggregaten scheint es somit keinen akuten Korrekturbedarf für die Geldpolitik zu geben. Negative Zinsen für Sparer stellen ebenfalls keinen Grund für einen Handlungsbedarf der EZB dar – zumindest laut Keynes. Denn solche Zinsen sind notwendig, um Anreize für Konsum und Investitionen in die Realwirtschaft sicher zu stellen. Schließlich führen sinkende und nicht höhere Sparquoten zu Wachstum.
 
Fazit: Die EZB belässt es aktuell beim negativen Zinsniveau und der anhaltenden Ausweitung ihrer Bilanz, obwohl sich Konjunktur- und Inflationsausblick verbessert haben. Deshalb steht die EZB in der Kritik, den optimalen Zeitpunkt für eine geldpolitische Wende zu verpassen. Doch nicht das aktuelle Niveau der geldpolitischen Parameter ist entscheidend, sondern die Frage, ob deren Korrektur angemessen und zielführend ist.
 
Eine monetäre Straffung würde im aktuellen Umfeld eines anhaltend hohen Prognoserisikos aufgrund der anstehenden Wahlen in Europa keine Konjunkturstabilisierung mit sich bringen, sondern die Erholung gefährden. Die EZB ist deshalb gut beraten, ihre Ausrichtung noch so lang beizubehalten, bis sich das Prognoserisiko reduziert hat. Sollten sich die Wachstums- und Inflationsprognosen für die Euro-Zone in 2018 bestätigen, könnte sich mit der Beendigung des Aufkaufprogramms Ende 2017 die erste Gelegenheit für eine geldpolitische Wende der EZB ergeben.
 

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